Kompakt Allgemeinmedizin
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Wie verschiedene Persönlichkeitstypen den Pandemiestress wegstecken

In einer Längs­schnitt­studie unter­suchte ein Psycho­lo­gie­for­schungs­team am Univer­si­täts­kli­nikum Jena die biolo­gi­sche Stress­re­ak­tion auf die Maßnahmen des ersten Corona-Lock­downs in Abhän­gig­keit von Resi­lienz und Persön­lich­keitstyp. Je deut­li­cher bei den Studi­en­per­sonen das Merkmal der emotio­nalen Labi­lität ausge­prägt war, desto mehr Stress­hor­mone konnten nach­ge­wiesen werden. Dieser Zusam­men­hang zeigte sich aber auch für die Extro­ver­tiert­heit, ein Persön­lich­keits­merkmal, das gemeinhin mit großer Stress­wi­der­stands­fä­hig­keit asso­zi­iert wird.

Gegen Jahres­ende 2019 lud ein Studi­en­team des Insti­tuts für Psycho­so­ziale Medizin, Psycho­the­rapie und Psycho­on­ko­logie am Univer­si­täts­kli­nikum Jena zur Teil­nahme an einer Studie ein. Zunächst musste ein Online­fra­ge­bogen aufge­füllt werden, anhand dessen bestimmt werden konnte, wie ausge­prägt die Eigen­schaften Offen­heit, Gewis­sen­haf­tig­keit, Extra­ver­sion, Verträg­lich­keit und Neuro­ti­zismus, also die emotio­nale Insta­bi­lität, waren. Diese auch ‚Big Five‘ genannten Merk­male dienen in der Psycho­logie der Charak­te­ri­sie­rung der Persönlichkeit.

Die Teil­neh­menden sollten auch einschätzen, ob sie anfällig für Stress sind oder eher resi­lient, also wider­stands­fähig. Die Studie sah vor, die Teil­neh­menden zu einem späteren Zeit­punkt erneut zu kontak­tieren und zu fragen, ob sie mögli­cher­weise belas­tende Erfah­rungen gemacht haben oder Stress aushalten mussten und wie gut sie in Abhän­gig­keit ihrer Persön­lich­keit und Resi­lienz dazu in der Lage waren, mit den erlebten Belas­tungen umzugehen.

Alle Studi­en­teil­nehmer erlebten die Belas­tungen des Lockdowns
Der Abschluss der ersten Befra­gung fiel dann aber — unvor­her­ge­se­hener Weise — mit dem Beginn der Corona-Pandemie zusammen „und plötz­lich befanden sich alle unsere Studi­en­per­sonen in einem belas­tenden Ausnah­me­zu­stand, nämlich dem ersten Lock­down“, so die Studi­en­in­itia­torin PD. Dr. Jenny Rosen­dahl. Für die Studie wurde diese außer­ge­wöhn­liche Situa­tion zum Glücks­fall, denn die Erfas­sung der Persön­lich­keits­merk­male und Resi­lienz war noch unbe­ein­flusst vom pande­mi­schen Geschehen. Dem strengen Lock­down und den anschlie­ßenden Kontakt­be­schrän­kungen waren dann alle Versuchs­per­sonen glei­cher­maßen unterworfen.

So war es möglich, in Reak­tion auf den Lock­down sowohl das subjek­tive Stress­emp­finden als auch ein objek­tives Stress­merkmal, den Spiegel des Stress­hor­mons Kortison, mithilfe von Haar­proben zu ermit­teln. „Wir wollten heraus­finden, ob sich vom prä-pande­mi­schen Persön­lich­keits­profil und der Resi­lienz auf die Höhe der psycho­lo­gi­schen und physio­lo­gi­schen Stress­marker schließen lässt“, beschreibt Prof. Dr. Vero­nika Engert, Erst­au­torin einer nun im Fach­journal Trans­la­tional Psych­iatry erschie­nenen Veröf­fent­li­chung die Frage­stel­lung der Untersuchung.

Insge­samt 80 erwach­sene Frei­wil­lige absol­vierten alle Studi­en­schritte: die erste Befra­gung vor dem ersten Covid-19-bedingten Todes­fall in Deutsch­land, eine zweite Umfrage während des ersten Lock­downs in Deutsch­land im Früh­jahr und eine weitere im Sommer 2020. Zu diesem Zeit­punkt wurden auch die Haar­proben gesam­melt, unmit­telbar an der Kopf­haut abge­schnitten gaben sie Auskunft über den Korti­son­spiegel in den zurück­lie­genden Monaten.

Als nicht uner­war­tetes Ergebnis zeigte sich vermehrtes Stress­emp­finden und auch gehäufter biolo­gi­scher Stress, je neuro­ti­scher eine Person war. „Aufgrund ihrer allge­meinen emotio­nalen Labi­lität leiden Menschen mit hohem Neuro­ti­zismus in Belas­tungs­si­tua­tionen, also auch in der Pandemie“, macht Vero­nika Engert plausibel.

Extro­ver­tierte leiden in der Pandemie unter sozialem Stress
Dieser propor­tio­nale Zusam­men­hang ergab sich jedoch auch für das Merkmal der Extro­ver­tiert­heit. Gene­rell gelten extro­ver­tierte Menschen, denen Kommu­ni­ka­tion und Akti­vi­täten mit anderen wichtig sind, als weniger stress­an­fällig. Prof. Engert: „Während der Pandemie fehlte aller­dings die Möglich­keit, Belas­tungen durch die Unter­stüt­zung in der sozialen Gruppe abzu­mil­dern und zu teilen.

Wahr­schein­lich litten extro­ver­tierte Personen deshalb beson­ders unter den Pande­mie­ein­däm­mungs­maß­nahmen. Das können wir an den physio­lo­gi­schen Stress­mar­kern belegen.“ Bei den anderen drei Persön­lich­keits­merk­malen und auch für die Resi­lienz konnte das Studi­en­team keine Vorher­sa­ge­kraft für das Stress­hor­mon­level ableiten.

Die Pande­mie­si­tua­tion ist in psycho­so­zialer Hinsicht offenbar so beson­ders, dass in diesem Kontext das Wissen von vor der Pandemie nicht verall­ge­mei­nert werden kann, betont das Autoren­team. Es mahnt für künf­tige Pande­mien die Entwick­lung indi­vi­dua­li­sierter Stress­ma­nage­ment­pro­gramme an. „Diese müssen in einem Lock­down-freund­li­chen Format ange­boten werden, damit die Belas­tung früh­zeitig gemil­dert werden kann. Bei den beson­ders betrof­fenen Personen könnten wir auf diese Weise der Mani­fes­ta­tion gesund­heit­li­cher Stress­folgen wie z.B. Herz-Kreis­lauf-Erkran­kungen entge­gen­wirken“, so Vero­nika Engert.

Origi­nal­pu­bli­ka­tion: Engert V, Blas­berg JU, Köhne S et al. Resi­li­ence and perso­na­lity as predic­tors of the biolo­gical stress load during the first wave of the Covid-19 pandemic in Germany. Transl Psych­iatry 2021 Aug 28;11(1):443. https://doi.org/10.1038/s41398-021–01569‑3

Quelle: Univer­si­täts­kli­nikum Jena

 

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