Kompakt Allgemeinmedizin
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Risiko für Gewichtszunahme bei jungen Erwachsenen besonders hoch

Welt­weit sind immer mehr Menschen von Über­ge­wicht betroffen. Dies hat große klini­sche und gesund­heits­po­li­ti­sche Rele­vanz, da Über­ge­wicht ein entschei­dender Risi­ko­faktor für verschie­denste schwere Erkran­kungen, von Herz­in­farkt und Diabetes bis hin zu Krebs und Demenz ist. Wissen­schaftler des Berlin Insti­tute of Health in der Charité (BIH) sowie des Univer­sity College in London haben nun anhand einer großen natio­nalen Pati­en­ten­ko­horte mit elek­tro­ni­schen Daten des engli­schen Gesund­heits­sys­tems heraus­ge­funden, dass die jüngsten Erwach­senen (18–24 Jahre) ganz beson­ders von Gewichts­zu­nahme betroffen sind.

Sie empfehlen daher, Präven­ti­ons­pro­gramme gezielt auch dieser Gruppe anzu­bieten. Ihre Ergeb­nisse haben die Wissen­schaftler nun in der Fach­zeit­schrift The Lancet Diabetes & Endo­cri­no­logy veröffentlicht.

Die Welt­ge­sund­heits­or­ga­ni­sa­tion WHO gab 2016 bekannt, dass welt­weit mitt­ler­weile 44% der Menschen von Über­ge­wicht betroffen sind, Tendenz stark stei­gend. Von Über­ge­wicht spricht man bei einem so genannten Body Mass Index, BMI, von über 25. Der BMI berechnet sich aus Größe und Körper­ge­wicht, so hat etwa ein Mann von 1 Meter 80 Größe und einem Körper­ge­wicht von 85 Kilo­gramm einen BMI von 26,2 und gilt damit als über­ge­wichtig. Ab einem BMI von 30 gilt man als stark über­ge­wichtig oder adipös, ab dem Wert 40 spre­chen Mediziner*innen von starker Adipo­sitas. In Deutsch­land ist bereits mehr als die Hälfte der Bevöl­ke­rung übergewichtig.

Über­ge­wicht als Risi­ko­faktor für Krankheiten
Über­ge­wicht ist ein entschei­dender Risi­ko­faktor für viele verschie­dene Krank­heiten, von Herz­in­farkt über Krebs bis hin zu Diabetes und Demenz. Wissen­schaftler um Profes­sorin Claudia Langen­berg, Leiterin der Abtei­lung ‚Compu­ta­tional Medi­cine‘ am BIH, sowie Professor Harry Hemingway, Univer­sity College in London und Gast­wis­sen­schaftler am BIH, wollten daher heraus­finden, bei welcher Bevöl­ke­rungs­gruppe sich Präven­tions- und Inter­ven­ti­ons­pro­gramme am meisten lohnen würden. „Um bestehende Programme effektiv durch­zu­führen“, so Claudia Langen­berg, „muss man wissen welche Bevöl­ke­rungs­gruppen beson­ders von Gewichts­zu­nahme betroffen sind, um in diesen Gruppen gezielt inter­ve­nieren zu können. Mit unserer Studie wollten wir heraus­finden, welche Bevöl­ke­rungs­gruppe das wäre.“

Größter Risi­ko­faktor: Alter zwischen 18 und 24 Jahren
Dazu durch­fors­teten die Wissen­schaftler Daten­banken, die gesund­heit­liche Infor­ma­tionen von über zwei Millionen Briten aus den Jahren 1998 bis 2016 enthielten. Aus den Daten zu Größe und Gewicht berech­neten sie den BMI. „Wir haben uns die Verän­de­rungen des BMI über die Zeit­räume von einem, fünf und zehn Jahren in verschie­denen Alters­ko­horten ange­schaut“, erzählt Harry Hemingway. „Und dabei fiel uns auf, dass insbe­son­dere bei jungen Erwach­senen zwischen 18 und 24 Jahren der BMI stark zunimmt.“ Andere bereits bekannte Risi­ko­fak­toren für Über­ge­wicht, wie männ­li­ches Geschlecht, soziale Benach­tei­li­gung oder bestimmte ethni­sche Zuge­hö­rig­keiten, spielten für die schnelle Zunahme an Gewicht nur eine unter­ge­ord­nete Rolle.

Jeder Dritte wird übergewichtig
„Unsere Analysen haben gezeigt, dass Männer, die zu Beginn der Daten­auf­zeich­nungen zwischen 18 und 24 Jahre alt waren, nach 10 Jahren ihr Gewicht von durch­schnitt­lich 80,8 kg auf 90,2 kg erhöht hatten. Im selben Zeit­raum nahmen Männer im Alter von 65 bis 74 Jahren dagegen sogar leicht ab, von 83,9 auf 82,2 kg”, berichtet Claudia Langen­berg. „Bei 37% der jüngsten Erwach­senen hatte sich das Gewicht nach 10 Jahren von normal- zu über­ge­wichtig oder adipös verän­dert, in der Gruppe der ältesten Erwach­senen war das nur bei 24% der Fall.“

Risi­ko­rechner berechnet persön­li­ches Risiko, über­ge­wichtig zu werden
Die Autoren nutzen die Ergeb­nisse dieser bisher größten Unter­su­chung zum Risiko für Gewichts­zu­nahme als Grund­lage für einen „Über­ge­wichts-Risiko-Rechner“: Basie­rend auf Infor­ma­tionen zum eigenen Alter, Geschlecht, sozialer Benach­tei­li­gung, ethni­scher Zuge­hö­rig­keit und aktu­ellem BMI kann dieser berechnen, wie groß das Risiko einer Person ist, in den nächsten Jahren zuzu­nehmen und in eine höhere BMI-Kate­gorie ‚zu rutschen‘. Es zeigt sich, dass junge Erwach­sene zwischen 18 und 24 Jahren dafür das höchste Risiko von allen Alters­gruppen haben. Mit dem Risi­ko­rechner kann jeder sein eigenes Risiko selbst berechnen: http://bmi.caliberresearch.org/

Wech­selnde Lebensumstände
Claudia Langen­berg vermutet, dass sich die im Leben junger Erwach­sener wech­selnden Lebens­um­stände eine Rolle spielen: „In dieser Phase machen Menschen große Verän­de­rungen in ihrem Leben durch. Sie fangen viel­leicht an zu arbeiten, gehen zur Univer­sität oder ziehen zum ersten Mal von zu Hause aus — unge­sunde Ernäh­rungs- und Bewe­gungs­ge­wohn­heiten, die man sich in diesen Jahren aneignet, können bis ins spätere Erwach­se­nen­alter beibe­halten werden. Wenn es uns mit der Präven­tion von Über­ge­wicht und dessen Folgen ernst ist, dann sollten wir gezielter Maßnahmen entwi­ckeln, die auch für junge Erwach­sene rele­vant sind.“

Gezielte Präven­tion
Harry Hemingway sieht eindeu­tige Schluss­fol­ge­rungen aus der Studie für die Politik: „Unsere Ergeb­nisse zeigen, dass es anhand leicht verfüg­barer elek­tro­ni­scher Gesund­heits­daten möglich ist, dieje­nigen zu iden­ti­fi­zieren, die das höchste Risiko tragen, an Gewicht zuzu­nehmen. Und dass es insbe­son­dere junge Erwach­sene sind, die an Gewicht zulegen, und gleich­zeitig Menschen zwischen 35 und 54 Jahren die größte Chance haben, stark über­ge­wichtig zu bleiben. Das zeigt, wie wichtig ein früh­zei­tiges Einschreiten ist und sich Stra­te­gien zur Verhin­de­rung von Über­ge­wicht und Adipo­sitas auch gezielt an junge Erwach­sene richten und auf sie zuge­schnitten werden sollten.“

Origi­nal­pu­bli­ka­tion: Katsoulis M, Lai AG, Diaz-Ordaz K et al. Iden­ti­fying adults at high-risk for change in weight and BMI in England: a longi­tu­dinal, large-scale, popu­la­tion-based cohort study using elec­tronic health records. Lancet Diabetes Endo­crinol 2021 Sep 2:S2213-8587(21)00207–2. https://www.doi.org/10.1016/S2213-8587(21)00207–2

Quelle: Berlin Insti­tute of Health in der Charité (BIH)

 

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