Kompakt Allgemeinmedizin
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Sinus- und Hirnvenenthrombosen nach SARS-CoV-2-Impfung können verhindert werden

Im „The New England Journal of Medi­cine“ erschien eine wegwei­sende Arbeit [1] der Charité-Univer­si­täts­me­dizin, der Univer­si­täts­me­dizin Greifs­wald und des IGNITE-Netz­werks. Darin wird eine Fall­serie berichtet, in der sich Betrof­fene nach Impfung mit dem Astra­Ze­neca-Vakzin wegen heftiger Kopf­schmerzen vorstellten und alle Labor­kri­te­rien einer Vakzin-indu­zierten throm­bo­ti­schen Throm­bo­penie (VITT) erfüllten, ohne dass jedoch die gefürch­teten Hirn- oder Sinus­ve­nen­throm­bosen vorlagen. Durch eine früh­zei­tige, konse­quente Behand­lung konnten bei der Mehr­zahl throm­bo­ti­sche Ereig­nisse verhin­dert werden.

Im März 2021 waren dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) mehrere Fälle von Sinus­ve­nen­throm­bosen nach Impfungen mit dem Astra­Ze­neca-Wirk­stoff gemeldet worden, woraufhin kurz­zeitig in Deutsch­land die Impf­kam­pagne mit dem Vakzin unter­bro­chen wurde. Ende März gab das RKI dann die Empfeh­lung heraus, den Astra­Ze­neca-Impf­stoff nur noch für Personen im Alter ab 60 Jahren zu verwenden, da diese Neben­wir­kung über­wie­gend bei jüngeren Menschen aufge­treten war. Zwar war die Häufig­keit dieser Impf­kom­pli­ka­tion sehr selten, aber einige Menschen verloren ihr Leben, was durchaus zu einer Verun­si­che­rung und allge­meinen Impf­skepsis beitrug.

Die dieser Impf­kom­pli­ka­tion zugrun­de­lie­gende Ursache wurde schnell aufge­deckt. Bereits Anfang April [2] beschrieben Prof. Dr. Andreas Greinacher, Leiter der Abtei­lung Trans­fu­si­ons­me­dizin am Institut für Immu­no­logie und Trans­fu­si­ons­me­dizin der Univer­si­täts­me­dizin Greifs­wald, und Kolleginnen/Kollegen einen Mecha­nismus, der an eine Heparin-indu­zierte Throm­bo­zy­to­penie mit Anti­kör­per­bil­dung gegen Plätt­chen­faktor 4 (PF4) erin­nert, aber mit dieser nicht iden­tisch ist, denn es war bei den berich­teten Fällen nach Impfung mit Vektorimpf­stoffen zu einer PF4-Anti­kör­per­bil­dung ohne vorhe­rige Hepa­ri­nex­po­si­tion gekommen. Entspre­chend wurde das Krank­heits­bild als Vakzine-indu­zierte immu­no­gene throm­bo­ti­sche Throm­bo­zy­to­penie (VITT) bezeichnet. Zu den Labor­tests zur Diagnose gehören vordring­lich die Bestim­mung der Throm­bo­zy­ten­zahl, zusätz­lich Gerin­nungs­tests mit INR, PTT, Fibri­nogen und D‑Dimeren, und gezielt die Suche nach Anti­kör­pern gegen Plätt­chen­faktor 4 (PF4) mittels ELISA (kein anders­ar­tiger HIT-Such­test!), mit einem Plätt­chen­ak­ti­vie­rungs­test zur Bestätigung.

Die meisten Betrof­fenen waren mit starken Kopf­schmerzen vorstellig geworden, von denen wir seiner­zeit dachten, dass sie eine Folge- bzw. Begleit­erschei­nung der zere­bralen throm­bo­ti­schen Ereig­nisse seien“, erklärt Prof. Greinacher, korre­spon­die­render Autor der aktu­ellen Studie.

Die aktu­elle Arbeit [1] zeigt nun, dass die starken Kopf­schmerzen auch ein Vorbote und somit Warn­hin­weis gefähr­li­cher post­vak­zi­naler Throm­bosen sein können. Die Charité-Univer­si­täts­me­dizin, die Univer­si­täts­me­dizin Greifs­wald und weitere IGNITE-Zentren (Mann­heim, Leipzig, Augs­burg, Erlangen) beschreiben eine Fall­serie von 11 Patientinnen/Patienten, die sich 5–18 Tage nach Impfung mit dem Astra­Ze­neca Impf­stoff mit heftigen Kopf­schmerzen in Kombi­na­tion mit einer Throm­bo­zy­to­penie ärzt­lich vorstellten. Alle wiesen auch hohe D‑Dimere und hohe anti-PF4-Anti­kör­per­spiegel auf. Bei Erst­vor­stel­lung konnte aber in keinem Fall eine zere­brale Sinus- und Venen­throm­bose (CSVT) diagnos­ti­ziert werden.

Nur zwei wiesen zum Aufnah­me­zeit­punkt ein anderes throm­bo­ti­sches Ereignis auf und erfüllten die VITT-Krite­rien voll­ständig (bei beiden wurde eine Lungen­em­bolie diagnos­ti­ziert). „Insge­samt lässt sich konsta­tieren, dass es offen­sicht­lich ein Prä-VITT-Syndrom gibt, eine VITT ohne throm­bo­ti­sche Mani­fes­ta­tionen – bei dem die schweren Kopf­schmerzen somit kein Begleit­sym­ptom, sondern ein Warn­sym­ptom für die spätere Entwick­lung eines VITT sein können, was einen Hand­lungs­spiel­raum für früh­zei­tige, thera­peu­ti­sche Inter­ven­tionen eröffnet“, erklärt Erst­autor Dr. Farid Salih von der Klinik für Neuro­logie der Charité-Univer­si­täts­me­dizin Berlin.

Denn mit einer Ausnahme hatten alle Patientinnen/Patienten, die auch im Verlauf keine Throm­bosen entwi­ckelten, binnen fünf Tage nach Beginn der Kopf­schmerzen eine VITT-spezi­fi­sche Therapie mit thera­peu­ti­scher Anti­ko­agu­la­tion, hoch­do­sierten Immun­glo­bu­linen oder Korti­ko­iden erhalten. Die vier übrigen Patientinnen/Patienten entwi­ckelten Throm­bosen und damit das Voll­bild einer VITT; drei Betrof­fene zeigten intra­kra­ni­elle Blutungen, zwei davon eine CSVT. Auffällig war, dass diese vier Patientinnen/Patienten erst verzö­gert eine Therapie erhalten hatten – eine Erkenntnis mit hoher Rele­vanz für den klini­schen Alltag.

Professor Matthias Endres, Direktor der Klinik für Neuro­logie mit Expe­ri­men­teller Neuro­logie und Letz­t­autor der aktu­ellen Studie, leitet daraus folgende Hand­lungs­emp­feh­lung ab: „Werden Patientinnen/Patienten in der typi­schen Latenz­zeit von 5–30 Tagen nach Impfung mit schweren Kopf­schmerzen vorstellig, sollte unbe­dingt eine weiter­füh­rende Diagnostik erfolgen. Weisen sie eine Throm­bo­zy­to­penie und erhöhte D‑Dimere auf, muss gezielt auf anti-PF4/He­parin-IgG-Anti­körper getestet werden und früh­zeitig und konse­quent thera­piert werden. Dann können wir schwere throm­bo­ti­sche Ereig­nisse in Folge womög­lich ganz verhindern“.

Wie Prof. Julian Bösel, Kassel, Präsi­dent der Deut­schen Gesell­schaft für Neuro­In­tensiv- und Notfall­me­dizin e.V. (DGNI), ausführt, sei diese Erkenntnis von erheb­li­cher medi­zi­ni­scher Bedeu­tung und könne die Rate der gefürch­teten Impf­kom­pli­ka­tionen deut­lich senken. Auch Prof. Peter Berlit, DGN-Gene­ral­se­kretär, unter­streicht den Sicher­heits­aspekt: „Wir lernen im Umgang mit den Vakzinen konti­nu­ier­lich dazu. Wenn wir auf diese Art und Weise schwere Impf­schäden verhin­dern können, sollte dies auch dazu beitragen, mehr Menschen zur Impfung zu bewegen. Der Nutzen liegt auf der Hand, die ohnehin sehr seltenen Risiken werden durch eine rasche Diagnostik und Therapie besser beherrschbar.“

Origi­nal­pu­bli­ka­tionen
1. Salih F et al. Vaccine-Induced Throm­bo­cy­to­penia with Severe Headache. N Engl J Med 2021 Sep 15. https://doi.org/10.1056/NEJMc2112974
2. Greinacher A et al. Throm­botic Throm­bo­cy­to­penia after ChAdOx1 nCov-19 Vacci­na­tion. N Engl J Med 2021 Jun 3;384(22):2092–2101. https://doi.org/10.1056/NEJMoa2104840

Quelle: Deut­sche Gesell­schaft für Neuro­logie e.V.

 

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