Kompakt Allgemeinmedizin
Dr. med Justus de Zeeuw
Dr. med Justus de Zeeuw

Evolution der E‑Zigarette

Kann man die E‑Zigarette zur Tabak­ent­wöh­nung empfehlen? Die dies­be­züg­liche wissen­schaft­liche Debatte wird gerade von der Realität überholt.

Hoch­rangig publi­ziert finden sich aktuell 2 Studien, die den Effekt des Einsatzes von E‑Zigaretten zur Tabak­ent­wöh­nung beleuchten [1, 2]. In beiden Arbeiten inter­pre­tieren die Autoren die Ergeb­nisse ihrer Beob­ach­tungen so, dass E‑Zigaretten in der Tabak­ent­wöh­nung einge­setzt werden können. Diesen Produkten wird dabei eine Nicht­un­ter­le­gen­heit gegen­über Vare­niclin und eine Über­le­gen­heit gegen­über Niko­tin­kau­gummi oder ‑pflas­tern zuge­schrieben. Es gibt aller­dings gleich mehrere gute Gründe, die für eine ganz andere, nämlich nega­tive Bewer­tung der Daten sprechen.

Ein wich­tiger Kritik­punkt ist die Frage, was als Erfolg der Verwen­dung einer E‑Zigarette verstanden werden soll. Hinsicht­lich der Risi­ko­be­wer­tung posi­tio­niert sich die Verbrennungs­zigarette zwischen dem dual use und der E‑Zigarette. Unter dual use versteht man den gleich­zei­tigen Konsum von Verbren­nungs- und E‑Zigaretten. Die Daten­lage hierzu ist klar: Dual use birgt in jeder Hinsicht das höchste Risiko für die Entwick­lung tabak­as­so­zi­ierter Erkran­kungen [3]. Unglück­li­cher­weise führte in der 1. zitierten Studie, in der den Teil­neh­mern E‑Zigaretten kostenlos zur Verfü­gung gestellt wurden, der Einsatz von E‑Zigaretten genau zu diesem dual use: Nur 8% wurden voll­ständig rauch­frei, 45% verwen­deten statt­dessen beides [4]. Das Verschenken von E‑Zigaretten ist also im wahrsten Sinne des Wortes Irrsinn. In der 2. Studie, die rando­mi­siert E‑Zigaretten gegen Vare­niclin und Niko­tin­kau­gummi testete, war das Ergebnis bei genauer Betrach­tung negativ: 62% der Studi­en­teil­nehmer in der E‑Zi­ga­retten-Gruppe verwen­deten diese auch noch 6 Monate später, dual use wurde dabei nicht dezi­diert erfasst. Die Studie wies in der statis­ti­schen Methodik aller­dings so gravie­rende Mängel auf, dass sie inzwi­schen von den Autoren offi­ziell zurück­ge­zogen wurde [5].

Beworben werden E‑Zigaretten und Tabak­er­hitzer unter anderem mit einem nied­ri­gerem Schad­stoff­ge­halt im Vergleich zu Verbren­nungs­zi­ga­retten. Dies soll die Schluss­fol­ge­rung indu­zieren, es gebe eine gesunde Schad­stoff­menge. Abge­sehen davon, dass dieser Gedanke an sich abwegig ist, liegen inzwi­schen genü­gend wissen­schaft­liche Erkennt­nisse vor, die das Gegen­teil bestä­tigen: Die Daten­lage zu den schäd­li­chen Effekten der mittels E‑Zigaretten und Tabak­er­hit­zern inha­lierten Gemi­sche entwi­ckelt sich rasant, sie wird immer umfang­rei­cher und deut­li­cher. Unab­hängig vom Niko­tin­ge­halt (also auch bei gänz­lich niko­tin­freien Produkten) sind proin­flamm­a­to­ri­sche Effekte, eine Beein­träch­ti­gung der Endo­thel­funk­tion, eine redu­zierte Elas­ti­zität des arte­ri­ellen Strom­ge­bietes sowie Verän­de­rungen der kleinen Atem­wege nach­ge­wiesen [6, 7, 8]. Wichtig ist dabei, dass diese Beob­ach­tungen bereits nach 1‑maliger Verwen­dung der E‑Zigaretten bzw. Tabak­er­hitzer bei jungen, ansonsten gesunden Probanden gemacht wurden – die Dauer­an­wen­dung durch bereits vorer­krankte Personen ist also mit einem bedeut­samen Risiko verbunden. Die Annahme, man halte mit einer E‑Zigarette oder einem Tabak­er­hitzer eine gesün­dere Alter­na­tive zur Verbren­nungs­zi­ga­rette in der Hand, ist widerlegt.

Die Tabak­in­dus­trie indes treiben ganz andere Gedanken um: Falls sich E‑Zigaretten tatsäch­lich dazu eignen, eine Niko­tin­ab­hän­gig­keit zu über­winden, dann hätte man mit dem Produkt das Thema gänz­lich verfehlt, geht es doch um eine Kunden­bin­dung über Jahr­zehnte. Diese ist aktuell tatsäch­lich nur mit Verbren­nungs­zi­ga­retten zu errei­chen: Wer Coca­Cola trinkt, nimmt zur Not auch Pepsi. Wer Marl­boro raucht, verschmäht hingegen Camel. Nirgendwo ist die Marken­treue so stark ausge­prägt wie bei Ziga­retten. Die Idee, ein Mensch könnte von der Verbren­nungs- auf die E‑Zigarette wech­seln und am Ende seine Tabak­ab­hän­gig­keit über­winden, lässt bei der Indus­trie, die Krank­heit und Tod ihrer Kund­schaft billi­gend in Kauf nimmt („muss doch jeder Erwach­sene selber wissen, ob er das Risiko eingeht“), die Alarm­glocke schrillen. Und tatsäch­lich: E‑Zigaretten und Tabak­er­hitzer machten in den letzten Jahren eine erstaun­liche Evolu­tion durch.

Sucht­er­zeu­gend ist beim Tabak­konsum die schnelle Anflu­tung des Niko­tins an den Rezep­toren im Gehirn [9]. Es ist also nicht das Nikotin selbst, sondern die Galenik der Ziga­rette, die zur Hoch­re­gu­la­tion der Niko­tin­re­zep­toren und zur Abhän­gig­keit führt. Dementspre­chend kann Nikotin, das über Pflaster, Kaugummi, Inha­lator oder Mund­spray verab­reicht wird, aufgrund seiner vergleichs­weise lang­sa­meren Anflu­tung zur Entwöh­nung einge­setzt werden. Auch bei E‑Zigaretten und Tabak­er­hit­zern war vor einigen Jahren eine lang­sa­mere Anflu­tung des Niko­tins zu beob­achten [10]. Hieraus leitete sich der in der Fach­welt disku­tierte Gedanke ab, dass auch diese Produkte zur Behand­lung einer Tabak­ab­hän­gig­keit geeignet sein könnten [11]. Diesem Ansatz hat das uner­müd­liche Bestreben der Tabak­in­dus­trie, ihre Produkte auf Sucht­er­zeu­gung zu trimmen, den Garaus gemacht. Auf dem dies­jäh­rigen Kongress der DGP konnte die Arbeits­gruppe um Tobias Rüther von der LMU München erst­mals demons­trieren, dass sich die Anflu­tungs­zeit des Niko­tins aus E‑Zigaretten und Tabak­er­hit­zern verän­dert: Inzwi­schen sind Geräte und Substanz­ge­mi­sche so konstru­iert, dass Nikotin mit ihnen sogar schneller ins Gehirn gelangt als mit Verbrennungs­zigaretten [12].

Sowohl die Werbung als auch die verwen­deten Aromen machen klar: Ziel­gruppe für E‑Zigaretten und Tabak­er­hitzer sind vor allem Kinder und Jugend­liche. Aus Sicht der Indus­trie ist diese am meisten verwund­bare Perso­nen­gruppe ein lohnendes Ziel: Je früher ein Kind mit dem Tabak­konsum beginnt, umso höher ist das Risiko einer Abhän­gig­keit und damit die von der Indus­trie ange­strebte Kunden­bin­dung. Ein Weg, diesem Zynismus zu begegnen, ist das Verbot der verwen­deten Aromen [13]. Ebenso wichtig: Uns Ärztinnen und Ärzte mit den rich­tigen Infor­ma­tionen zu versorgen, damit wir Kinder, Jugend­liche und auch Erwach­sene stark machen können – so sind sie vor den von Profit­gier getrie­benen Kampa­gnen der Tabak­in­dus­trie gefeit.

Dr. med. Justus de Zeeuw

Lite­ratur

  1. Auer R et al. Elec­tronic Nico­tine-Deli­very Systems for Smoking Cessa­tion. N Engl J Med 2024;390(7):601–610.
  2. Lin HX et al. Effi­cacy of Elec­tronic Ciga­rettes vs Vare­nicline and Nico­tine Chewing Gum as an Aid to Stop Smoking: A Rando­mized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2024;184(3):291–299.
  3. Glantz SA et al. Popu­la­tion-Based Disease Odds for E‑Cigarettes and Dual Use versus Ciga­rettes. NEJM Evid 2024;3(3).
  4. Glantz SA. New well-done RCT shows that giving smokers free e‑cigarettes creates more dual users than swit­chers or quit­ters. www.profglantz.com, gepostet am 22.09.2023.
  5. Liu Z. Notice of Retrac­tion: Lin HX et al. Effi­cacy of Elec­tronic Ciga­rettes vs Vare­nicline and Nico­tine Chewing Gum as an Aid to Stop Smoking: A Rando­mized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2024;184(3):291–299.
  6. Göbel I et al. Impact of Heated Tobacco Products, E‑Cigarettes, and Combus­tible Ciga­rettes on Small Airways and Arte­rial Stiff­ness. Toxics 2023;11(9).
  7. Belkin S et al. Impact of Heated Tobacco Products, E‑Cigarettes, and Ciga­rettes on Inflamm­a­tion and Endo­the­lial Dysfunc­tion. Int J Mol Sci 2023;24(11):9432.
  8. Hauck AS et al. Impact of Chewing Bags, E‑Cigarettes, and Combus­tible Ciga­rettes on Arte­rial Stiff­ness and Small Airway Func­tion in Healthy Students. Toxics 2023;11(1):77.
  9. Le Houezec J. Role of nico­tine phar­ma­co­ki­ne­tics in nico­tine addic­tion and nico­tine repla­ce­ment therapy: A review. Int J Tuberc Lung Dis 2003,7:811–819.
  10. Vukas J et al. Two Diffe­rent Heated Tobacco Products vs. Ciga­rettes: Compa­rison of Nico­tine Deli­very and Subjec­tive Effects in Expe­ri­enced Users. Toxics 2023;11(6):525.
  11. Rüther T et al. Posi­ti­ons­pa­pier: Sucht­me­di­zi­ni­sche und gesund­heits­po­li­ti­sche Chancen und Risiken durch den Gebrauch von E‑Zigaretten. Sucht­the­rapie 2017;18:120–123.
  12. Rüther T. Such­t­ent­wick­lung. Sympo­sium E‑Zigarette und Tabak­er­hitzer: Auswir­kungen auf Lunge und Herz. DGP-Kongress Mann­heim 2024, Sympo­sium 41 am 22.03.2024
  13. Rupp A et al. Medi­zi­ni­sche Fach­ge­sell­schaften fordern ein Verbot von Aromen in E‑Zigaretten. Ein Posi­ti­ons­pa­pier der Deut­schen Gesell­schaft für Pneu­mo­logie und Beatmungs­me­dizin e. V. Pneu­mo­logie 19.03.2024; doi:10.1055/a‑2282–9908
 

Um weiter­zu­lesen, regis­trieren Sie sich bitte hier.

Anmelden
   
Anzeige