Kann man die E‑Zigarette zur Tabakentwöhnung empfehlen? Die diesbezügliche wissenschaftliche Debatte wird gerade von der Realität überholt.
Hochrangig publiziert finden sich aktuell 2 Studien, die den Effekt des Einsatzes von E‑Zigaretten zur Tabakentwöhnung beleuchten [1, 2]. In beiden Arbeiten interpretieren die Autoren die Ergebnisse ihrer Beobachtungen so, dass E‑Zigaretten in der Tabakentwöhnung eingesetzt werden können. Diesen Produkten wird dabei eine Nichtunterlegenheit gegenüber Vareniclin und eine Überlegenheit gegenüber Nikotinkaugummi oder ‑pflastern zugeschrieben. Es gibt allerdings gleich mehrere gute Gründe, die für eine ganz andere, nämlich negative Bewertung der Daten sprechen.
Ein wichtiger Kritikpunkt ist die Frage, was als Erfolg der Verwendung einer E‑Zigarette verstanden werden soll. Hinsichtlich der Risikobewertung positioniert sich die Verbrennungszigarette zwischen dem dual use und der E‑Zigarette. Unter dual use versteht man den gleichzeitigen Konsum von Verbrennungs- und E‑Zigaretten. Die Datenlage hierzu ist klar: Dual use birgt in jeder Hinsicht das höchste Risiko für die Entwicklung tabakassoziierter Erkrankungen [3]. Unglücklicherweise führte in der 1. zitierten Studie, in der den Teilnehmern E‑Zigaretten kostenlos zur Verfügung gestellt wurden, der Einsatz von E‑Zigaretten genau zu diesem dual use: Nur 8% wurden vollständig rauchfrei, 45% verwendeten stattdessen beides [4]. Das Verschenken von E‑Zigaretten ist also im wahrsten Sinne des Wortes Irrsinn. In der 2. Studie, die randomisiert E‑Zigaretten gegen Vareniclin und Nikotinkaugummi testete, war das Ergebnis bei genauer Betrachtung negativ: 62% der Studienteilnehmer in der E‑Zigaretten-Gruppe verwendeten diese auch noch 6 Monate später, dual use wurde dabei nicht dezidiert erfasst. Die Studie wies in der statistischen Methodik allerdings so gravierende Mängel auf, dass sie inzwischen von den Autoren offiziell zurückgezogen wurde [5].
Beworben werden E‑Zigaretten und Tabakerhitzer unter anderem mit einem niedrigerem Schadstoffgehalt im Vergleich zu Verbrennungszigaretten. Dies soll die Schlussfolgerung induzieren, es gebe eine gesunde Schadstoffmenge. Abgesehen davon, dass dieser Gedanke an sich abwegig ist, liegen inzwischen genügend wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die das Gegenteil bestätigen: Die Datenlage zu den schädlichen Effekten der mittels E‑Zigaretten und Tabakerhitzern inhalierten Gemische entwickelt sich rasant, sie wird immer umfangreicher und deutlicher. Unabhängig vom Nikotingehalt (also auch bei gänzlich nikotinfreien Produkten) sind proinflammatorische Effekte, eine Beeinträchtigung der Endothelfunktion, eine reduzierte Elastizität des arteriellen Stromgebietes sowie Veränderungen der kleinen Atemwege nachgewiesen [6, 7, 8]. Wichtig ist dabei, dass diese Beobachtungen bereits nach 1‑maliger Verwendung der E‑Zigaretten bzw. Tabakerhitzer bei jungen, ansonsten gesunden Probanden gemacht wurden – die Daueranwendung durch bereits vorerkrankte Personen ist also mit einem bedeutsamen Risiko verbunden. Die Annahme, man halte mit einer E‑Zigarette oder einem Tabakerhitzer eine gesündere Alternative zur Verbrennungszigarette in der Hand, ist widerlegt.
Die Tabakindustrie indes treiben ganz andere Gedanken um: Falls sich E‑Zigaretten tatsächlich dazu eignen, eine Nikotinabhängigkeit zu überwinden, dann hätte man mit dem Produkt das Thema gänzlich verfehlt, geht es doch um eine Kundenbindung über Jahrzehnte. Diese ist aktuell tatsächlich nur mit Verbrennungszigaretten zu erreichen: Wer CocaCola trinkt, nimmt zur Not auch Pepsi. Wer Marlboro raucht, verschmäht hingegen Camel. Nirgendwo ist die Markentreue so stark ausgeprägt wie bei Zigaretten. Die Idee, ein Mensch könnte von der Verbrennungs- auf die E‑Zigarette wechseln und am Ende seine Tabakabhängigkeit überwinden, lässt bei der Industrie, die Krankheit und Tod ihrer Kundschaft billigend in Kauf nimmt („muss doch jeder Erwachsene selber wissen, ob er das Risiko eingeht“), die Alarmglocke schrillen. Und tatsächlich: E‑Zigaretten und Tabakerhitzer machten in den letzten Jahren eine erstaunliche Evolution durch.
Suchterzeugend ist beim Tabakkonsum die schnelle Anflutung des Nikotins an den Rezeptoren im Gehirn [9]. Es ist also nicht das Nikotin selbst, sondern die Galenik der Zigarette, die zur Hochregulation der Nikotinrezeptoren und zur Abhängigkeit führt. Dementsprechend kann Nikotin, das über Pflaster, Kaugummi, Inhalator oder Mundspray verabreicht wird, aufgrund seiner vergleichsweise langsameren Anflutung zur Entwöhnung eingesetzt werden. Auch bei E‑Zigaretten und Tabakerhitzern war vor einigen Jahren eine langsamere Anflutung des Nikotins zu beobachten [10]. Hieraus leitete sich der in der Fachwelt diskutierte Gedanke ab, dass auch diese Produkte zur Behandlung einer Tabakabhängigkeit geeignet sein könnten [11]. Diesem Ansatz hat das unermüdliche Bestreben der Tabakindustrie, ihre Produkte auf Suchterzeugung zu trimmen, den Garaus gemacht. Auf dem diesjährigen Kongress der DGP konnte die Arbeitsgruppe um Tobias Rüther von der LMU München erstmals demonstrieren, dass sich die Anflutungszeit des Nikotins aus E‑Zigaretten und Tabakerhitzern verändert: Inzwischen sind Geräte und Substanzgemische so konstruiert, dass Nikotin mit ihnen sogar schneller ins Gehirn gelangt als mit Verbrennungszigaretten [12].
Sowohl die Werbung als auch die verwendeten Aromen machen klar: Zielgruppe für E‑Zigaretten und Tabakerhitzer sind vor allem Kinder und Jugendliche. Aus Sicht der Industrie ist diese am meisten verwundbare Personengruppe ein lohnendes Ziel: Je früher ein Kind mit dem Tabakkonsum beginnt, umso höher ist das Risiko einer Abhängigkeit und damit die von der Industrie angestrebte Kundenbindung. Ein Weg, diesem Zynismus zu begegnen, ist das Verbot der verwendeten Aromen [13]. Ebenso wichtig: Uns Ärztinnen und Ärzte mit den richtigen Informationen zu versorgen, damit wir Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene stark machen können – so sind sie vor den von Profitgier getriebenen Kampagnen der Tabakindustrie gefeit.
Dr. med. Justus de Zeeuw
Literatur
- Auer R et al. Electronic Nicotine-Delivery Systems for Smoking Cessation. N Engl J Med 2024;390(7):601–610.
- Lin HX et al. Efficacy of Electronic Cigarettes vs Varenicline and Nicotine Chewing Gum as an Aid to Stop Smoking: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2024;184(3):291–299.
- Glantz SA et al. Population-Based Disease Odds for E‑Cigarettes and Dual Use versus Cigarettes. NEJM Evid 2024;3(3).
- Glantz SA. New well-done RCT shows that giving smokers free e‑cigarettes creates more dual users than switchers or quitters. www.profglantz.com, gepostet am 22.09.2023.
- Liu Z. Notice of Retraction: Lin HX et al. Efficacy of Electronic Cigarettes vs Varenicline and Nicotine Chewing Gum as an Aid to Stop Smoking: A Randomized Clinical Trial. JAMA Intern Med 2024;184(3):291–299.
- Göbel I et al. Impact of Heated Tobacco Products, E‑Cigarettes, and Combustible Cigarettes on Small Airways and Arterial Stiffness. Toxics 2023;11(9).
- Belkin S et al. Impact of Heated Tobacco Products, E‑Cigarettes, and Cigarettes on Inflammation and Endothelial Dysfunction. Int J Mol Sci 2023;24(11):9432.
- Hauck AS et al. Impact of Chewing Bags, E‑Cigarettes, and Combustible Cigarettes on Arterial Stiffness and Small Airway Function in Healthy Students. Toxics 2023;11(1):77.
- Le Houezec J. Role of nicotine pharmacokinetics in nicotine addiction and nicotine replacement therapy: A review. Int J Tuberc Lung Dis 2003,7:811–819.
- Vukas J et al. Two Different Heated Tobacco Products vs. Cigarettes: Comparison of Nicotine Delivery and Subjective Effects in Experienced Users. Toxics 2023;11(6):525.
- Rüther T et al. Positionspapier: Suchtmedizinische und gesundheitspolitische Chancen und Risiken durch den Gebrauch von E‑Zigaretten. Suchttherapie 2017;18:120–123.
- Rüther T. Suchtentwicklung. Symposium E‑Zigarette und Tabakerhitzer: Auswirkungen auf Lunge und Herz. DGP-Kongress Mannheim 2024, Symposium 41 am 22.03.2024
- Rupp A et al. Medizinische Fachgesellschaften fordern ein Verbot von Aromen in E‑Zigaretten. Ein Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e. V. Pneumologie 19.03.2024; doi:10.1055/a‑2282–9908
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