Kompakt Allgemeinmedizin
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Fingerschweiß zeigt individuelles Stoffwechsel-Profil des Menschen

Die Analyse von Blut, Plasma oder Urin eines Menschen dient dazu, seinen oder ihren Stoff­wechsel sowie körper­ei­gene Schad­stoff­be­las­tungen zu bestimmen. In „Nature Commu­ni­ca­tions“ stellt nun ein Team um Chris­to­pher Gerner von der Fakultät für Chemie der Univer­sität Wien eine Methode vor, die Finger­schweiß für die Messung indi­vi­du­eller meta­bo­lo­mi­scher Profile und Stoff­wech­sel­pro­zesse nutzt.

Beispiel­haft werden über die Analyse von Finger­schweiß die Aufnahme und Verstoff­wechs­lung von Koffein sowie dessen entzün­dungs­hem­mende Effekte beschrieben. In einer weiteren Studie konnten die Autorinnen und Autoren bereits zeigen, dass sich aus Finger­schweiß auch Inhalts­stoffe aus Nahrung, Medi­ka­menten, bis hin zu Umwelt­schad­stoffen und deren Verstoff­wechs­lung bestimmen lassen.

Lebens­mittel, die wir zu uns nehmen, werden im Magen-Darm-Trakt verdaut. Die Mole­küle, ob stabil oder enzy­ma­tisch ab- und umge­baut, wandern ins Blut und verteilen sich im ganzen Körper. Erstaun­li­cher­weise findet man sehr vieles von dem, was an kleinen Mole­külen im Blut trans­por­tiert wird, auch im Schweiß. „Im Finger­schweiß kann man Biomo­le­küle wie Meta­bolite sehr präzise messen, präziser als etwa im Spei­chel“, sagt Chris­to­pher Gerner, analy­ti­scher Chemiker der Univer­sität Wien und Leiter der Joint Meta­bo­lome Faci­lity der Univer­sität Wien und Medi­zi­ni­schen Univer­sität Wien.

Der wich­tigste Vorteil gegen­über Blut- oder Urin­ana­lysen besteht in der sehr einfa­chen Risiko- und schmerz­losen Proben­ge­win­nungs­mög­lich­keit. So können wir meta­bo­li­sche Zeit­rei­hen­ana­lysen durch­führen, die so bisher noch nicht möglich waren“, so der Chemiker.

Die Gewin­nung der Schweiß­proben erfolgt durch ein spezi­elles Filter­pa­pier, das für nur eine Minute zwischen Daumen und Zeige­finger gehalten wird. Die im Schweiß enthal­tenen Mole­küle werden dann extra­hiert und mittels massen­spek­tro­me­tri­scher Analysen inner­halb von wenigen Minuten prozessiert.

Stoff­wech­sel­pro­zesse sind sichtbar
In der aktu­ellen Studie verab­reichten die Forsche­rinnen und Forscher ihren Test­per­sonen Kaffee oder Koffein-Kapseln. Die entspre­chenden Zeit­rei­hen­ana­lysen zeigten unter­schied­liche kine­ti­sche Verläufe der Koffein-Meta­boliten und erlaubten eine bioin­for­ma­ti­sche Netz­werk­mo­del­lie­rung. Daraus konnte das Team schließ­lich indi­vi­du­elle Profile in Bezug auf Koffe­in­auf­nahme und ‑Verstoff­wech­se­lung erstellen und sogar auf die Akti­vität von Leber­en­zymen schließen.

Der Stoff­wechsel ist ein höchst dyna­mi­scher Prozess. Daher, so die Studi­en­au­torinnen und ‑autoren, sind Zeit­rei­hen­ana­lysen, wie sie nun erst­mals über die Finger­schweiß­me­thode unkom­pli­ziert am Menschen ermög­licht wurden, sehr wichtig. Aus der Methode könnten sich verschie­dene Anwen­dungen für die medi­zi­ni­sche Praxis paten­tieren lassen, die z.B. zur leich­teren Erken­nung von bestimmten Erkran­kungen oder zur Unter­stüt­zung von klini­schen Studien beitragen. Verschie­dene Ansätze werden bereits in Zusam­men­ar­beit mit der Medi­zi­ni­schen Univer­sität Wien im AKH erprobt.

Indi­vi­du­elle Signaturen
In einer beglei­tenden Studie hatte das Team der Joint Meta­b­lome Faci­lity bereits weitere Beispiele dafür gezeigt, welche Daten aus Finger­schweiß ablesbar sind: „Man kann damit unmit­telbar verfolgen, was jemand gegessen hat“, so Studi­en­au­torin Julia Brun­mair: „Es ist zum Teil auch verblüf­fend: Nach dem Konsum von Erdbeeren war etwa ein nicht mehr zuge­las­senes Insek­tizid nach­weisbar. Nach konsu­mierten Orangen konnten wir – im Fall von Bio-Orangen – gesunde Flavo­noide und – im Fall von nicht-biolo­gi­schem Anbau – zudem entspre­chende Pesti­zide nachweisen.“

Auch Niko­tin­konsum und Meta­bo­lismus konnten die Forsche­rinnen und Forscher über gemes­senes Nikotin und Anatabin im Finger­schweiß von Test­per­sonen unmit­telbar nach­weisen. Es ist nicht nur messbar, wie stark ein Mensch Fremd­stoffen ausge­setzt ist, sondern auch, wie sein oder ihr Orga­nismus darauf reagiert. Die Forsche­rinnen und Forscher nehmen an, dass im Finger­schweiß tausende Meta­bolite greifbar sind, wobei von ihnen bisher rund 250 iden­ti­fi­ziert und mit Stan­dards veri­fi­ziert wurden. „Hier werden in abseh­barer Zeit noch sehr viele hinzu­kommen“, so Brunmair.

Wegwei­send für perso­na­li­sierte Medizin?
„Das Verfahren hat sich als hoch empfind­lich erwiesen und zeigt neue Möglich­keiten auf, indi­vi­du­elle Stoff­wech­sel­pro­zesse sichtbar zu machen, um perso­na­li­sierte Diagnostik und Therapie zu begleiten“, sagt Chris­to­pher Gerner. Es könnte etwa Medi­zi­ne­rinnen und Medi­zi­nern helfen zu beur­teilen, ob Medi­ka­mente von Pati­en­tinnen und Pati­enten so wie vorge­schrieben einge­nommen wurden und auch ob die erwar­teten Konzen­tra­ti­ons­werte im Körper tatsäch­lich erreicht werden.

Eine solche Compli­ance-Kontrolle könnte speziell für klini­sche Studien rele­vant sein, zu deren Durch­füh­rung die Joint Meta­bo­lome Faci­lity nun durch Finger­schweiß-Analysen beitragen kann. Die vertiefte Anwen­dung „Arti­fi­cial Intelligence“-basierter bioin­for­ma­ti­scher Verfahren wird wahr­schein­lich noch sehr viel mehr mole­ku­lare Details über Teil­neh­me­rinnen und Teil­nehmer solcher Studien zutage fördern und verweist auch auf das Zukunfts­po­ten­zial dieser multi­dis­zi­pli­nären Forschungsbestrebungen.

Origi­nal­pu­bli­ka­tion
Brun­mair J, Gotsmy M, Nieder­staetter L et al. Finger sweat analysis enables short interval meta­bolic biomo­ni­to­ring in humans. Nat Commun. 2021 Oct 13;12(1):5993. doi: 10.1038/s41467-021–26245‑4.

Quelle: Univer­sität Wien

 

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