Der vom Heuschnupfen geplagte Fußballprofi erschien 2 Tage nach Verordnung eines Nasensprays wieder in der Praxis: Die Beschwerden bestünden unverändert. Gefragt, ob das Spray denn gar keinen Effekt habe, antwortete er: „Soll ich das etwa mal nehmen?“ Offensichtlich war diese wesentliche Information im vorherigen Kontakt für diesen Patienten nicht in hinreichendem Maße vermittelt worden.
Kommunikation auf Augenhöhe, das sogenannte shared decision-making, ist ein hehres Ziel, letztlich soll so eine optimale Adhärenz zur vorgeschlagenen Therapie erreicht werden. „Diese Wirkstoffkombination gibt es als Spray oder als Pulver – welche Variante möchten Sie?“ – „Weiß nicht, welche ist denn besser? Das müssen Sie doch wissen.“ – So könnte der Einstieg in ein umfassendes, allen Regeln der partizipativen Entscheidungsfindung folgendes Gespräch sein. Oder auch nicht: Ist das Ergebnis so viel schlechter, wenn stattdessen auf die Auswahlmöglichkeit verzichtet und einfach eine der beiden Varianten rezeptiert würde?
Barrieren für die medikamentöse Adhärenz gibt es einige. Ein Review über 38 qualitativ geeignete Studien zur Adhärenz am Beispiel der COPD fand im Jahr 2020 naheliegende Gründe: Eine komorbide Depression, Sorge vor Nebenwirkungen, fortgesetztes Rauchen, Vergesslichkeit, unzureichende Inhalationstechnik und Polypharmazie wurden am häufigsten genannt [1]. Doch nicht nur patientenbezogene Faktoren spielen für die Therapietreue eine Rolle, auch die Arzt-Patienten-Kommunikation ist von Bedeutung.
„It takes two to tango“ wusste schon Ronald Reagan, der diese Redewendung populär machte [2]. Was nützt die beste Information, wenn sie den Adressaten nicht erreicht? Was bringt die elaborierte Gesprächstechnik, wenn der Gegenüber nicht mitspielt? Menschen sind verschieden, und so gilt es, sich auf unterschiedliche Typen einzustellen.
Im Zusammenhang mit der partizipativen Entscheidungsfindung wird regelmäßig eine Studie der Boston Consulting Group zitiert, die sich mit der Charakterisierung genau dieser unterschiedlichen Patiententypen befasst [3]. Diese ist zwar im Original nicht verfügbar/auffindbar, die qua Sekundärliteratur überlieferte Einteilung ist im Hinblick auf die Praxis dennoch von Interesse. Beschrieben werden 4 Charaktere, wobei diese je nach Krankheitsbild und Lebenssituation wechselnd ausgeprägt sein können. Der „akzeptierende“ Patient ist von der Expertise seiner Ärzte überzeugt und überlässt ausschließlich diesen die Therapieentscheidung, ebenso wie die Informationsübermittlung und die Dokumentation. Der „aufgeklärte“ Patient ist bereit, aktiv seine Heilung zu befördern, und ergreift eigenverantwortlich Therapiemaßnahmen (Beispiel: Anpassung der Insulindosis je nach Blutzuckerwert). Der „involvierte“ Patient zeigt hohes Engagement und fordert dabei seine Ärzte auch heraus, sucht den Dialog und die Diskussion. Es besteht Interesse an Prävention und gesundheitsbewusstem Verhalten. Der „steuernde“ Patient tritt selbstbewusst auf und überprüft ärztliche Empfehlungen anhand anderer Quellen wie Internet oder Zweitmeinung. Zu jedweder Gesundheitsfrage nutzt dieser Typus analoge und digitale Medien, um seine Gesundheitskompetenz zu verbessern.
Die Frage, welcher Patiententyp gerade vor einem sitzt, ist im Alltag nicht immer leicht zu beantworten. Zum einen, da ein und dieselbe Person je nach Situation verschiedene Rollen einnehmen kann, zum anderen, da der Charakter des Beobachters die Wahrnehmung beeinflusst: Mit wem man „gut“ kann, hängt auch von der eigenen Persönlichkeit ab.
Die partizipierende Entscheidungsfindung wird in zahlreichen Publikationen als bevorzugte Methode der Kommunikation empfohlen. Wie steht es um die Evidenz? Eine Übersichtsarbeit hat 2015 die bis dato verfügbare Literatur im Hinblick auf belegbare Effekte untersucht [4]. Im Ergebnis fühlten sich Personen, die den subjektiven Eindruck hatten, an der Entscheidungsfindung beteiligt worden zu sein, tendenziell wohler – die Formulierung wurde aufgrund der geringen Evidenz bewusst vage gehalten. Hinsichtlich des Verhaltens, also der verbesserten medikamentösen Adhärenz, oder gar klinisch relevanter Endpunkte, beklagen die Reviewer einen Mangel an belastbaren Daten.
Die Autoren einer 1997 erschienenen Übersicht zum shared decicison-making fassten bereits damals das Dilemma bei der wissenschaftlichen Bearbeitung dieses Themas treffend zusammen [5]. Zum einen weisen sie darauf hin, dass es auf Patientenseite ein sehr breites Spektrum hinsichtlich der Wahrnehmung gibt, inwieweit die Einbeziehung bei der Entscheidungsfindung hinreichend erfolgt und auch gewünscht ist. Dieses reicht vom Wunsch nach einem paternalistischen Ansatz ohne jegliche Mitsprache bis hin zur Sorge, sich selbst überlassen zu werden und die volle Verantwortung für die Folgen der getroffenen Entscheidung aufgebürdet zu bekommen. Des Weiteren merken die Autoren an, dass ein starres Konzept zur Vorgehensweise beim shared decision-making sich negativ auf die in der Regel sehr persönliche und individuelle Arzt-Patienten-Beziehung auswirken könnte.
Letztlich bleibt für das Thema der partizipierenden Entscheidungsfindung die Erkenntnis, dass das Fehlen von Evidenz nicht die Evidenz für das Fehlen eines Nutzens ist. Für den Alltag bedeutet dies allerdings auch, dass man abwägen darf, ob das zu erörternde Thema wirklich der weiterreichenden Einbindung des Gegenübers im Sinne des shared decision-making bedarf oder ob man – ohne die Wahl zwischen Pulver und Spray zu eröffnen – einfach eines von beiden rezeptiert.
Dr. med. Justus de Zeeuw
Literatur
- Bhattarrai B et al. Barriers and Strategies for Improving Medication Adherence Among People Living With COPD: A Systematic Review. Respir Care 2020;65(11):1738–1750
- Transcript of President’s News Conference on Foreign and Domestic Affairs, New York Times, 12.11.1982
- https://www.stiftung-gesundheitswissen.de/gesundes-leben/patient-arzt/patient-und-partner
- Shay LA, Lafata JE. Where is the evidence? A systematic review of shared decision making and patient outcomes. Med Decis Making 2015; 35(1):114–131
- Charles C, Gafni A. Shared decision-making in the medical encounter: What does it mean? (or it takes at least two to tango). Soc Sci Med 1997;44(5):681–692
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